Dienstag, September 03, 2013

Houdinismus

Es hatte etwas von einer amerikanischen Präsidentschaftswahl, wie sich die letzte Nacht der Transferperiode in diesem Sommer gestern entwickelte. Viele Nachrichten, von denen viele sehr lang auf Bestätigung warten ließen, manche konnten schließlich gar nicht bestätigt werden, der eine oder andere Wechsel fiel durch, weil: "too close to call".

Hertha wurde noch aktiv und leiht Tolga Cigerci für eine Saison vom VfL Wolfsburg aus, eine kleine, pragmatische Maßnahme, die genau richtig dosiert ist, um Ronny ein wenig anzuspornen und Mukhtar nicht vor den Kopf zu stoßen. Ich habe ihn letztes Jahr bei Gladbach gelegentlich gesehen, er ist auf jeden Fall ein interessanter Spieler, von dem sich nun weisen wird, ob er sich in das Luhukay-Ethos finden wird.

Wesentlich hektischer als in Deutschland, wo die Clubs während der Transferzeit ihre Aufgaben erledigt hatten, ging es in England zu. Dort gab es sogar echte Blamagen. Manchester United hatte Ander Herrera von Atletico Bilbao vermeintlich schon sicher, doch dann ging doch noch etwas schief, und es war zu spät, um zu korrigieren.

Der Transfer des Abends gelang aber Arsenal: Mesut Özil wechselt von Real Madrid nach London, und zwar für eine zweifache Rekordsumme - er wird der teuerste Spieler, den Arsenal jemals verpflichtet hat, und auch der teuerste deutsche Spieler, der jemals einen Verein gewechselt hat. Arsène Wenger kann also mit einigem Recht behaupten, dass einer späten Karriere als Entfesselungskünstler nichts im Wege steht. Am Sonntag hat seine Mannschaft das Derby gegen Tottenham (Gareth Bale raus, sieben teure Neue) verdient mit 1:0 gewonnen (durch ein virtuoses Tor von Giroud). Am Tag darauf nun also eine spektakuläre Neuverpflichtung, die vor allem der "midfield maestro" Tomas Rosicky wehmütig sehen wird.

Denn Özil (oder Ozil, oder Oezil, über den Umlaut wurde in England gestern schon viel geschrieben) wird natürlich der neue Maestro. Er wird gut in die Mannschaft passen, aus drei Gründen: Cazorla hat gerade am Sonntag angedeutet, dass ihm die Position auf links, von der aus er nach innen ziehen kann, sehr behagt; Ramsey und Wilshere (oder neuerdings wieder Flamini) sorgen im zentralen Mittelfeld für die nötige Kombination aus Biss und Kreativität; und Walcott und Giroud gehen in die Lücken. Mit Özil kommt ein Element hinzu, das seit Bergkamp und Fabregas fehlte: ein Air von absoluter Weltklasse.

Für den immer noch jungen Mann aus Gelsenkirchen steckt in dieser Sache allerdings auch eine Demütigung. Er sah sich gezwungen, zu einem Club aus der zweiten Reihe zu wechseln (wobei für mich Real Madrid da momentan auch - noch - dazugehört, allerdings nur sportlich; in jeder anderen Hinsicht sind sie natürlich galaktisch). Ich hoffe, er nimmt es sportlich, und führt Arsenal ein Stück nach oben. Wenn wir Pech haben, verstärkt sich seine andere Tendenz, und er taucht ab, wenn es hart wird. Dagegen spricht für meine Begriffe, dass Arsenal - angeführt von Aaron Ramsey - eine neue Haltung entwickelt, die von enormer Leidenschaft geprägt ist. Flamini (ablösefrei) erwies sich am Sonntag jedenfalls gleich als einer, der da bestens dazu passt.

Der Coup mit Özil sollte aber nicht überstrahlen, dass Arsenal keinen Stürmer verpflichten konnte. Sie hängen also ganz und gar von Giroud ab, einer exzellenten ersten Wahl - was aber, wenn er sich verletzt? Dann müsste Walcott zentral spielen, was zu einer eher barcelonischen oder peppigen Konzeption führen würde. Die Transferbilanz von Wenger ist also gemischt, er wird sich aber voll und ganz legitimiert sehen, und tatsächlich kann man von einer gerade noch erfolgreichen Schlussoffensive sprechen, wobei ich sagen würde, dass Flamini fast so wichtig werden könnte wie Özil. Das wäre eine herrliche Ironie, ungefähr so, als hätte Hertha Kacar zurückgeholt, und der würde wieder zu einer Säule. Wofür ja nun leider nicht nur nicht so viel spricht, sondern gar nichts. Es wäre ja auch schon zu spät. Für dieses Mal.

Montag, September 02, 2013

Frustrationstoleranz

Die Niederlage in Wolfsburg war auch deswegen so bitter, weil sie durch nur zwei Aussetzer knapp hinter einander und unmittelbar vor der Pause bedingt war (ich addiere so: Ben-Hatira und Langkamp teilen sich das erste Gegentor, Brooks hat das zweite für sich allein). Gegen Nürnberg war der Rückschlag vor der Pause noch verarbeitbar, gegen Wolfsburg nicht mehr.

Gestern kam dann noch die Nachricht, dass Alexander Baumjohann fast die ganze restliche Saison wegen einer schweren Knieverletzung ausfallen wird. So brutal ist Fußball: Er hatte sich in Berlin gut eingeführt, es ist ja hier irgendwie auch seine letzte Chance, mit seinem Talent doch einmal ordentlich zu wuchern. Und nun das. Sein Auftritt beim RBB vor einer Woche hat mir gut gefallen, er präsentierte sich auf eine professionelle, aber nicht arrogante Weise; ohne Zweifel zählte er in dieser frühen Phase der Saison zu den spannendsten Herthanern.

Nun folgt eine Länderspielpause, während Luhukay und Preetz mit den verbliebenen Spielern sich neu sortieren müssen. Dazu gehört auch eine Personalie. Pierre-Michel Lasogga, der "Bär", wie ich ihn gern genannt habe, wird an den HSV verliehen, allerdings ohne Kaufoption. Im Gegenzug kommt ein norwegischer Spieler, Per Skjelbred, ein Offensiv-Allrounder. Ich sehe das Manöver mit gemischten Gefühlen, denn Lasogga ist für mich nicht nur ein exzellenter Stürmer, er ist auch eine wichtige Identifikationsfigur. Andererseits führt für ihn an Adrián Ramos derzeit kein Weg vorbei, allerdings habe ich ihn immer als Nummer zwei im Angriff gesehen und nie als Nummer vier, wie er zuletzt mehrfach tituliert wurde. Denken wir kurz einmal den Worst Case durch, wie es ja Aufgabe des Managements ist: Adrián Ramos fällt (so wie Baumjohann) für den Rest der Spielzeit aus.

Dann wäre für meine Begriffe Allagui der einzige verbliebene Qualitätsstürmer. Sandro Wagner ist auch noch da, der Kicker berichtete sogar, dass sein Vertrag verlängert werden soll. Worauf diese Entscheidungen fußen, ist nicht leicht nachvollziehbar, jedenfalls nicht für jemand, der nicht nach Trainingsleistungen oder Kabinenstimmungsfaktoren gehen kann, die ich ja nicht beobachte. Die Wahrheit auf dem Platz rechtfertigt eine Vertragsverlängerung eigentlich nicht.

Andererseits kann man Lasogga die Möglichkeit, sich eine Spielzeit lang in Hamburg zu präsentieren, nicht versagen. Ich hoffe, er schafft dort den Durchbruch, allerdings wird er danach weg sein, sofern es Hertha gelingt, mit Ramos zu verlängern. Mit einem der beiden wird der Club (einiges) Geld verdienen, das kann man mit ein bisschen Optimismus annehmen.

Für Baumjohann gibt es im Kader natürlich direkten Ersatz. Ronny kann nun den Beweis antreten, dass er ein Erstligaspieler der gehobenen Klasse ist. Immerhin haben wir damit auch ein Thema vom Tisch, das mir immer als verfehlt erschien: Die Doppelzehn, die ja auch in Wolfsburg (wo Baumjohann zu einem vazierenden Außenspieler wurde) wenig brachte.

Nach der Länderspielpause kommt der VfB Stuttgart, der nach der Entlassung von Bruno Labaddia am Sonntag gleich einmal Hoffenheim mit 6:2 nach Hause schickte. Die Grundlagen für ein drittes erfolgreiches Heimspiel sind vorhanden, doch nun muss Luhukay zum ersten Mal in dieser Saison daran arbeiten, dass Enttäuschungen die Motivation nicht verderben. Die nach wie vor vorhandene Dichte im Kader (Ndjeng, van den Bergh, Niemeyer halten die Spannung hoch, Mukhtar ist eine interessante Wild Card) sollte dazu beitragen. Und wenn das eine Saison wird, in der das Olympiastadion eine Festung wird, während die Auswärtsfahrten sich schwierig gestalten, dann wäre das ein brauchbarer Weg.

PS Die großartigen Fans lange nach dem Spiel