Montag, August 19, 2013

Kippbild

Mit dem 2:2 in Nürnberg ist Hertha erst so richtig in der ersten Liga angekommen. Es war ein Spiel, wie es die kommende Saison vermutlich noch oft bringen wird: zwei relativ gleichwertige Teams aus dem (unteren?) Mittelfeld der Liga liefern einander einen intensiven Kampf, bei dem das spielerische Element immer nur in Momenten zum Vorschein kommen kann. Die vielen Zweikämpfe und Fouls, zu denen Hertha vor allem in der ersten Halbzeit gewungen wurde, deuten darauf hin, dass Nürnberg sich da besser durchsetzen konnte. Namentlich Ginczek machte der neu formierten Defensive zu schaffen.

In der Szene vor dem Tor ließ Janker sich aus der Viererkette herauslocken, stellte sich dann aber im Zweikampf ungeschickt an, Lustenberger konnte auch nichts ausrichten, in die Unordnung stieß Drmic. Meines Erachtens war allerdings Ben-Hatira bei dem Spielzug davor, einem exzellenten Hertha-Angriff, einer, würde ich jetzt schon beinahe sagen wollen, typischen Hertha-Bewegung anno 2013/2014, nicht im Abseits (jedenfalls nicht, wenn man im Zweifelsfall für den Angreifer entscheidet), sodass es da auch schon 0:1 stehen hätte können.

Ich erwähne das deswegen, weil die Berichterstattung sich gestern sehr stark auf eine Reihe von kontroversen Entscheidungen konzentrierte, sodass ein wenig unterging, dass Hertha ab ungefähr Minute 50 das Spiel eindeutig übernahm. Die Vokabel, die sich diesbezüglich eingebürgert hat, lautet Zugriff. Hertha bekam Zugriff, der bis zu diesem Zeitpunkt eher alibihaft spielende Baumjohann wachte auf, Allagui spielte einen seiner schwer nachahmlich feinst dosierten Pässe auf Lustenberger, die Flexibilität des Eintracht-Spiels war wieder da. Der Ausgleich lag nahe, es passte aber zum Spiel, dass er auf kuriose Weise fiel: Allaguis brillante Wendung im Strafraum brachte ihn in Schussposition, er rutschte aber aus, sodass der Schuss weit daneben gegangen wäre; zum Glück stand Dabanli im Weg, er lenkte den Ball ins Tor.

Die gelbe Karte gegen Baumjohann sehe ich als akzeptabel an, während 93,26 Prozent am Montag um 8.33 bei Wahre Tabelle sie als Fehlentscheidung verbuchen. Aber ich gehöre ja auch zu denjenigen, die bei der strittigen Elfmeterentscheidung auf die TV-Perspektive von hinten setzen, dort sieht man nämlich, dass Pinola den Ball nicht berührt hat. Von der Seite sieht es anders aus, der Videobeweis ergibt hier also ein Kippbild, ganz klassisch so, wie es der Referee nicht brauchen kann. Er entschied auf Elfmeter, Ronny verwandelte sicher. Hervorzuheben ist an der Sache noch, dass Baumjohann überhaupt so dynamisch in den Strafraum eindrang, auch dazu gab es gegen Frankfurt schon Modellszenen.

Dass der Schiedsrichter schließlich noch spät einen Zweikampf von Brooks als Foul wertete (zu Unrecht, wie für die Fernsehzuschauer ziemlich eindeutig ersichtlich war), gab Kyotake die Gelegenheit zu einem spektakulären Ausgleich. Vielleicht ist der kleine Dämpfer gar nicht schlecht. Hertha geht mit vier Punkten in das Abendspiel gegen den HSV, die Euphorie ist ein wenig gedämpft, die Gründe zum Optimismus sind nicht weniger geworden.

Doch gibt es auch Gründe, die Aufmerksamkeit ratsam sein lassen. In der ersten Halbzeit war zu sehen, dass Hertha nicht so richtig wusste, wie mit dem Spiel umzugehen war. Das Pressing begann vermutlich nach Plan gut zwanzig Meter weiter hinten als beim Heimspiel. Vor allem an Baumjohann konnte man auch sehen, dass es zum Teil eher alibihaft gespielt wurde. Ben-Hatira machte das mit einigen Fouls weit vorne und einer sehr wichtigen Interception im eigenen Strafraum halbwegs wett. Hertha musste erst in die Haken und Ösen finden, könnte man sagen. Es ist eine typische Reaktion auf einen tollen Sieg: Hertha wollte auch in Nürnberg gern spielen, musste sich allerdings in die Verhältnisse finden, und die Zeichen standen nun einmal nicht sofort auf Spiel. Problemzonen waren die linke Defensivseite (Holland hatte Glück, dass ihm die zweite gelbe Karte erspart blieb; Janker wurde relativ früh ausgewechselt), in der ersten Halbzeit das offensive Zentrum, auch Pekarik hatte seine Mühe, weil Allagui nicht so intensiv nach hinten arbeitete.

In der zweiten Halbzeit hatte Hertha das Verhältnis zum Spiel geklärt. Der Coach wechselte auf Sieg ein, wobei man meiner Meinung nach mit Sandro Wagner da nicht wirklich weit kommen wird. So hat das 2:2 eine innere Logik, die sowohl vom Spielverlauf wie von den kontroversen Szenen her auf eine prinzipielle Unentscheidbarkeit dieses Matches verweisen. Der Vergleich mit dem Auftritt in Nürnberg vor eineinhalb Jahren (Winter, Skibbe, Ronny) macht den Unterschied, auf den es ankommt.

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