Mittwoch, November 21, 2012

Stegreifkünstler

In Wien gibt es ein Theater, in dem die Schauspieler keinen Text lernen müssen. Sie spielen beim Tschauner nämlich "Stegreif", das heißt, sie erfinden die Dialoge unterwegs. Anderswo würde man dazu vielleicht "improv" sagen, einige der besten amerikanischen Komödianten haben in diesem Feld ihre Grundausbildung gemacht. Am Montag musste ich dauernd an diese Sachen danken, weil dem FC St. Paul ein Mann namens Tschauner im Tor stand. Er fing eine Menge, darunter auch aussichtsreiche Kopfbälle von Ramos. Da es in der Mannschaft von Jos Luhukay inzwischen aber eine ganze Reihe von Leuten gibt, die gute "Bananen" oder "Gurken" oder andere gekrümmte Lebensmittel aus der Abteilung organische Ballbewegungsmetaphorik in den Strafraum bringen (Schulz, Holland, Bastians, Ndjeng, Ronny und schließlich Pekarik, der sich leider an diesem Abend noch gravierend verletzte), fand schließlich relativ spät, aber noch lange nicht zu spät einer dieser Kopfbälle den Weg an Tschauners Greifkünsten vorbei ins Tor.

Es war vermutlich der unwahrscheinlichste des ganzen Spiels, denn Sahar befand sich in einem Pulk an der torentfernten Stelle, der Ball musste durch diesen Pulk hindurch, und überquerte die Linie gewissermaßen noch halb "undercover". Dann war er aber drin, und ein "hunderprozentiger" (Niemeyer) Arbeitssieg war auf dem Konto. Für die Tabelle bedeutet das, dass sich eine Dreiergruppe an der Spitze ein klein wenig abgesetzt hat, zu Cottbus und zu Rang Blech sind es nun vier Punkte.

Es war ein seltsamer Abend, weil ihm eine Zeitreise voranging. Der Tod von Alex Alves hat nicht nur vor Augen geführt, wie brutal dieses Leben immer wieder sein kann, er hat auch gezeigt, wie enorm die Veränderungen waren, die Hertha seither durchlebt hat. Als einen sicheren Erstligisten, ja als Team aus der erweiterten Spitzengruppe habe ich sie eigentlich nur gekannt, ein Fan mit mittellangem Gedächtnis, der die Zeit der zweiten Liga vor 1997 nicht wirklich mitbekommen hat. Und nun also schon das zweite Zweitligajahr binnen kurzer Zeit, immerhin neuerlich unter Bedingungen, die zumindest ein Chaos wie in Köln nicht zuließen. Die Mannschaft von Jos Luhukay scheint bestens auf den Zweitligabetrieb eingestellt zu sein. Bei Peer Kluge stelle ich immer wieder fest, dass da anscheinend ein echter Spitzenfußballer bei Hertha angeheuert hat - dass er das nur phasenweise zeigt, muss nicht überraschen bei einem Mann mit so durchwachsener Karriere, aber manchmal macht er Dinge, die mich leise aufjubeln lassen.

Daneben gefällt mir im Moment der "no nonsense"-Stil von Fabian Holland besonders gut. Er macht manchmal im Spielaufbau gewisse Kleinigkeiten, die viel über das Fußballspiel als solches verraten, das ja in einem hohem Maß aus Routinen besteht, in die man aber eben manchmal eine Idee einbauen sollte. Bei Holland kann man die Ausbildung noch sehr schön sehen, er bietet sich immer wieder für die Dreiecke an, in denen der Ball nach vorn gehen soll (während Ronny zum Beispiel andere, ungewöhnlichere Wege sucht, beim Dribbling wie beim Passen).

Im Spiel gegen St. Pauli gab es insgesamt eine gute Vertikalität bei exzellentem Flügelspiel, die manche fast schon brillante Kombinationen ergab. Dass der kopfballstarke Ramos häufig an deren Ende war, gibt dem ganzen Spiel eine Richtung, der nur noch Tschauner im Wege stand. Und auch er nur bis zur 85. Minute, denn dann kam diese Flanke von Pekarik, gegen deren Verarbeitung auch mit noch so viel Geistesgegenwart nichts zu machen war. Hertha spielt nicht in den ersten Häusern dieses Jahr, aber die Vorstellungen sind sehr ansprechend.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Großartige Verknüpfung: Tschauner - SteGreif! Klasse Bericht anyway.