Samstag, August 27, 2011

Hurrafußball

Ein Freitagabendspiel in der Bundesliga hat etwas sehr Luxuriöses. Man hat das ganze Wochenende dann noch vor sich, die Stimmung ist gut, und wenn man danach heimkommt, kann man sich ansehen, was der Bezahlsender rund um dieses Topspiel so inszeniert - es gibt endlos Interviews, allerdings kaum (wir sind bei Sky!) Analyse.

Der 1:0-Sieg von Hertha gegen Stuttgart gibt allerdings eine Menge Material an die Hand, das die Verantwortlichen bei Hertha hoffentlich nicht ignorieren werden. Es war eines jener Spiele, das die vielen Komponenten deutlich machte, auf die es beim Fußball ankommt: Einstellung, Taktik, aber eben auch Wille, und Fortüne. Um es rundheraus zu sagen: Ich war sehr unzufrieden.

Das hat mit einem Umstand zu tun, der während der Woche auch ausdrücklich thematisiert wurde: Hertha besteht im Moment aus zwei Blöcken, die wenig voneinander wissen wollen. Einer braven Defensivformation, die aber doch eine Menge zulässt, und einer vorzüglichen Offensivformation, zu der gelegentlich Christian Lell stößt, der mich zuletzt mehrmals positiv überrascht hat. Er bringt von der Athletik her alles mit, um ein moderner, offensiver Außenverteidiger zu sein, und tatsächlich beginnt sich mit ihm und Ebert etwas anzudeuten, was mich optimistisch stimmt.

Das Problem ist die Doppelsechs, die gestern so konservativ interpretiert wurde, dass das Spiel von Hertha nur mühsam in die Gänge kam. Die Laufwege vor allem von Andreas Ottl bei Ballbesitz Hertha sind mir einfach ein Rätsel. Entweder will er nicht am Spiel teilnehmen, oder er bildet sich ein, dies von einem Feldherrenhügel aus tun zu müssen, aber seine Teilnahmslosigkeit am Angriffsspiel ist skandalös. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Coach Babbel tatsächlich die Anweisung gab, dass immer sechs Mann (plus Kraft) hinter dem Ball sein müssen, aber die Art und Weise, wie Ottl die gegnerische Hälfte höchstens im Trab betrat, wie er nicht einmal den Versuch unternahm, einmal einen Gegner aussteigen zu lassen, einen vertikalen Pass zu spielen, das verstehe ich nicht - zumal Niemeyer ja nur (ich spreche jeweils von Situationen, in denen Hertha den Ball hatte) unwesentlich offensiver auftrat.

Ich weiß, dass Ottl andere, diskrete Qualitäten hat, aber wir wünschen uns doch alle eine Mannschaft, in der die Teile zusammenarbeiten, und das war gestern ganz und gar nicht der Fall. Das tiefe Stehen von Hertha hat ja auch keineswegs den erhofften Effekt gebracht: Stuttgart hatte zahlreiche Chancen, hätte einen Elfmeter gegen Ende der ersten Halbzeit bekommen müssen, und noch nach dem späten Führungstreffer von Raffael gab es mehrere Großchancen.

Aber vermutlich braucht es so ein Spiel, um das Gerede vom "Heimkomplex" zum Verstummen zu bringen - einen glücklichen Sieg, der aber durch eine Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit auch verdient war. Patrick Ebert gab hinterher auch noch ein sehr professionelles Interview, damit hatte dieser Sieg endgültig Brief und Siegel.

Woran die Coaches aber eindeutig arbeiten müssen, ist die Spieleröffnung. Wir müssen ja annehmen, dass die Formation mit Ottl und Niemeyer uns noch eine Weile begleiten wird, also muss jemand den beiden erklären, dass ein wenig mehr Flexibilität und Engagement angebracht ist. Bei Niemeyer war dies ja auch zu sehen, der Vorteil dieser Formation ist allerdings vergeben, wenn die Gegner schon vor vornherein wissen, welcher der beiden "haltenden" Mittelfeldspieler sich nach vorn engagieren wird. Von Ottl muss also "mehr kommen", wie es so schön heißt, sonst fällt Hertha in die schlimmen Zeiten von Niko Kovac zurück. Aber die Saison ist ja noch jung, und mit fünf Punkten lässt sich besser an der Integration der Mannschaft arbeiten. Erwartet ja niemand einen Hurrafußball. Nur ein wenig mehr Gespür für Situationen und Möglichkeiten.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hab das Spiel zwar nur im Fernsehen gesehen, aber selbst auf der großen Leinwand suchte man Ottl meist vergeblich, wogegen man Ebert mit fortchreitendem Spiel nahezu überall fand. Und Du hast Recht, da greift nicht viel ineinander, vor allem Mijatovic agierte wie in finsteren Bielefelder Zeiten, wenn er den Ball hat, ein paar Meter läuft, dann einen dieser halbhohen, nicht vernünftig zu verarbeitenden Pässe schlägt und damit die Vorwärtsbewegung des ganzen Teams zum Stocken bringt.Gruß von Valdano