Donnerstag, September 30, 2010

BMO Field Toronto

Bei Hertha sind gerade "slow news days", bis zum nächsten Spiel gegen Aaachen ist es noch eine Weile, weil es dieses Mal erst am Montag zur Sache geht. Die eher entspannte Trainingswoche mit Tabellenführung und gutem Gewissen wurde zu einem Laktakttest genützt (von dem aber keine grundstürzenden Erkenntnisse zu erwarten sind), außerdem absolvierte die Mannschaft am Mitwoch ein Showtraining in Lichtenberg. Hertha BSC treibt also geduldig seine Osterweiterung voran, das wird sowieso noch eine Weile dauern.

Die Tabloiden delektieren sich in der langsamen Zeit an dem "knallharten" Coach Markus Babbel, auf den sie endlich wieder einmal ihre Disziplinierungsphantasien so richtig ungehemmt projizieren können (nur weil er Rukavytsya gegen Cottbus daheim ließ, wofür nach der Leistung von Schulz durchaus auch sportliche Gründe zu nennen wären).

Ich nütze die Gelegenheit der ereignisarmen Tage und trage noch etwas von meiner Reise nach Toronto nach: Den kleinen Film vom Betreten des BMO Fields, wo der Toronto FC seine Heimspiele in der Major League Soccer austrägt - in Fortsetzung eines Projekts, das Simon mit kurzen Filmen aus der Allianz-Arena und dem römischen Stadio Olimpico begonnen hat, die sich irgendwo in den Tiefen meiner Seite finden, das ich im Sommer in Warschau fortgesetzt habe, und das nun auf einen Höhepunkt zusteuert: Am 16. Oktober werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, in London zum ersten Mal das neue Arsenal Stadion "The Emirates" von innen sehen.

Sonntag, September 26, 2010

Sackhüpfen

Arsenal hat gestern im Emirates Stadium 2:3 gegen Westbromwich Albion verloren, und das war mehr als nur eine überraschende Niederlage - vielfach wird das als die frühe Ernüchterung gesehen, die aus einem Meisterschaftskandidaten wieder den Talenthaufen macht, aus dem nie wieder eine große Mannschaft hervorgehen wird.

Man muss zweieinhalb Jahre zurückgehen, um die Vorgeschichte dieser Niederlage zu begreifen. Im Januar 2008 spielte Arsenal im Carling Cup bei Tottenham Hotspur und verlor mit 1:5. Auch wenn dies nur den drittwichtigsten englischen Bewerb betraf, wurde das kleine Debakel doch als richtungsweisend empfunden, und Arsenal - zu diesem Zeitpunkt in der PL punktgleich mit MeanU auf Platz 2 - beendete das Jahr tatsächlich "nur" auf Platz 3. Reifetest wieder einmal nicht bestanden.

Am vergangenen Dienstag trat Arsenal wieder im Carling Cup bei Tottenham an, dieses Mal stellte Arsène Wenger eine ziemlich starke Elf auf und sah einen nach Verlängerung begeisternden 4:1-Sieg - wie gesagt, im drittwichtigsten Bewerb. Der symbolisch wichtige Triumph gegen die "fiercest rivals" erwies sich als kostspielig, denn gegen Westbrom war die Mannschaft gestern schwach, und am Ende waren zwei entscheidende Spieler schwer beschädigt.

Der Torhüter Manuel Almunia, dem Wenger bis zum Ende der Transferperiode das Misstrauen ausgesprochen hatte, indem er sich halbherzig, aber offen um Mark Schwarzer von Fulham bemüht hatte, sah bei zwei Toren schlecht aus, und wird nun nach starken Saisonbeginn wieder als Schwachpunkt betrachtet werden. (In diesem Zusammenhang fast wichtiger noch ist, dass Wenger mit Fabianski stur an einem nicht konkurrenzfähigen zweiten Tormann festhält.)

Der zweite ramponierte Spieler ist Laurent Koscielny, der mit brillanten Leistungen in die Saison gestartet war, gestern aber zum Opfer einer generellen Problematik wurde: Die ehemals großen Fullbacks von Arsenal, Clichy und Sagna, sind nicht mehr ganz auf der Höhe von einst. Dazu kommen ein seit Wochen schwacher Arshavin, der auf links defensiv auch viele Lücken lässt, ein wieder einmal unkonzentrierter Abou Diaby im Mittelfeld, ein vazierender Ebouè, und schon ist der momentan grandiose Samir Nasri weitgehend auf sich allein gestellt.

Westbrom bot gestern das, was Mainz in der Bundesliga zeigt - perfektes Pressing, geschicktes Laufen, freche Pässe, eiskalten Abschluss. Am Ende hüpften die "Baggies" jubelnd über das Feld. In der PL sieht man noch viel deutlicher, was auch in der Liga deutlich ist: Mittlere Mannschafte mit kompetenten Trainern stellen die großen Teams Woche für Woche vor enorme Herausforderungen. Sunderland, Birmingham, Westbrom sind momentan in England die "upsetters", auch Bolton schließt auf. Vor ein paar Jahren hätte man das noch Konzeptfußball genannt, der Begriff hätte sich sicher nicht so schnell verschlissen, wäre er nicht damals mit Uwe Rapolder und Bielefeld in Verbindung gestanden.

Gewinner der Runde in England ist nun Manchester City, die Chelsea mit einer kühlen Performance die Luft ausließen, ein Konter genügte Tevez zum entscheidenden Tor. Und das alles musste ich mir gestern auch noch zu dem oberflächlichen Geschwätz der deutschen Kommentatoren anhören, weil Sky ohne Angabe von Gründen den englischen Kommentar aus dem World Feed abgeschaltet hat, angeblich nur an diesem Wochenende, aber in der gewohnten Kundenfeindlichkeit ohne Angabe von Gründen und ohne Ausdruck des Bedauerns.

Samstag, September 25, 2010

Horizontaltackling

Das niedrigere Niveau in der zweeten Liga bezieht sich auch auf die Menschen, die davon berichten. Der von mir abonnierte Bezahlsender entsendet zu den Spielen von Hertha zwar immer noch gelegentlich einen von den wenigen Profis, die er unter seinen Kommentatoren hat. Häufig aber kommen Menschen zu Wort, die Nico Schulz bis heute für einen Verteidiger halten (weil der Junge vor langer Zeit mal in dieser Kategorie geführt wurde), und die glauben, in den unteren Spielklassen müsste mehr gegrätscht werden.

So erregte gestern in Cottbus ein leidenschaftliches Einschreiten von Raffael Aufsehen, der um die 65. Minute ein schwungvolles Horizontaltackling hinlegte, sich rasch wieder auf seine zwei Beine begab und mit dem gewonnenen Ball einen Konter einleitete, der dann allerdings "nicht gut zu Ende gespielt wurde".

Die Hertha konnte sich das leisten, denn Energie Cottbus schoss gestern mehrmals mit Verve knapp daneben, vor allem Emil Jula tat sich wieder dabei hervor (ich habe seine Chance noch deutlich vor Augen, die er vor eineinhalb Jahren vernebelte, als Hertha schließlich 3:1 in der Lausitz gewann und danach der Manager tanzte - damals war ich auch selbst vor Ort).

Hertha gewann das Spitzenspiel in dieser frühen Phase der Saison mit 1:0 durch ein Tor von Friend nach mächtiger Banane von Lell und Ableger per Schienbein von Ramos. Der echte Freund stand dort, wo er in so einer Situation erwartet wird: im Fünfmeterraum.

Der Sieg war verdient, weil die Spielkontrolle trotz einer Reihe brenzliger Situationen eindeutig in Berliner Hand lag. Es fehlte nur die letzte Konzentration, die sich die Spieler erst allmählich erarbeiteten. Ein Beispiel dafür war Lell, der eine Stunde brauchte, um seinen dynamischen Vorstößen auch ein wenig Präzision beizufügen, auch das Zusammenspiel mit Schulz bedurfte der allmählichen Abstimmung. (Auch Mijatovic scheint immer gegen Ende der Spiele besser zu werden.)

Für meine Begriffe war es aber wieder das neue, noch nicht magische, aber doch schon sehr wirksame Dreieck aus Niemeyer, Raffael und Domovchyiski, das den entscheidenen Vorteil verschaffte. Raffael ging gelegentlich so leidenschaftlich auf den ballführenden Gegenspieler, dass er nach gut dreißig Minuten nur knapp einer roten Karte entging - eine brutale Grätsche ging zu diesem Zeitpunkt zum Glück ins Leere, Foul musste nicht gepfiffen werden.

Dass schließlich ganz am Ende ausgerechnet Ramos einen Ball von Radu knapp vor der Linie entschärfte, spricht ebenfalls für eine neue Geistesgegenwart aller Beteiligten (dass der Rumäne allerdings dort halblinks überhaupt so allein stehen konnte, hat mit einem übertriebenen Verschieben zu tun).

Die Grätsche muss nicht das Stilmittel dieser Zweitliga-Hertha werden, es reicht, wenn sie sich auf das geschickte Tackling konzentriert, und auf das Ablaufen, das auf kluger Laufarbeit beruht, und das gestern nicht nur Niemeyer mehrmals demonstrierte. Wir sind in der zweiten Liga, das sechste Spiel brachte einen wichtigen Sieg, die Hertha wappnet sich mit Punkten für schwierigere Zeiten, die sicher noch kommen werden, zum Beispiel dann, wenn die Füße kalt werden und der Boden schwer.

Freitag, September 24, 2010

Stadium der Freundschaft

Eine Reihe von beruflichen Reisen hat es mit sich gebracht, dass ich bisher noch gar nicht so richtig in die Saison gekommen bin. Jetzt bin ich aber wieder in Berlin, und muss demnächst auch nicht mehr gröber weg. Gestern habe ich mir dann gleich einmal das 4:0 gegen den Karlsruher SC vom Dienstag noch angeschaut, der dritte Heimsieg, der erste ohne Gegentor - und eigentlich auch ohne Gegenwehr.

Die Mannschaft aus dem Südwesten hat es der Hertha sehr leicht gemacht, die befreundeten Fans beider Clubs hatten Party. Nach 14 (anderen Zeitrechnungen zufolge nach 17) Sekunden lag Hertha bereits mit 1:0 in Führung, nachdem Ramos sich über links in den Strafraum durchgesetzt hatte. Der Kolumbianer hatte zusammen mit Raffael nach dem Spiel bei Union eine Sonderschicht mit Babbels Co Rainer Widmayer absolvieren müssen, er zeigte sich besser konzentiert und arbeitete auch defensiv eine Menge mit.

Entscheidend für den Erfolg war aber der Aktionsradius von Raffael, der wieder wie das Herz der Mannschaft auftrat, sich die Bälle weit hinten holte und sehr präsent war, auch in den Zweikämpfen. Zusammen mit dem diskreteren, aber auch nicht faulen Domo und dem starken Sechser Niemeyer ergab das eine plausible Leistung, die auch dazu führte, dass von der Viererkette nicht allzu viel verlangt wurde - in drei, vier Situationen war auch gegen Karlsruhe zu erkennen, wie leicht Hubnik und Mijatovic von einer auch nur ein wenig besseren Mannschaft auszuhebeln sind.

Da wird schon heute gegen den Energie Cottbus mehr geistige und körperliche Wendigkeit und Gegenwart aufzubringen sein, um die Tabellenführung zu verteidigen (wozu aller Voraussicht nach ein Remis nicht reichen würde).

Generell muss ich mich auf den Fußball in der zweiten Liga erst einstellen, ich bekomme die Scharfstellung meines Blicks noch nicht so recht hin, weil der Unterschied zwischen Topspielen (fast alle in der Premier League, aber auch die Bundesliga verzeichnet bemerkenswerte Qualitätsschübe, kommt mir vor) und Liga zwee doch beträchtlich ist. So kommt mir ein Auftritt wie der des KSC fast ein wenig surreal vor (verglichen zum Beispiel mit einem sagenhaft umkämpften Match wie dem 4:1 n.V. des FC Arsenal bei Tottenham ebenfalls am Dienstag im englischen Carling Cup).

Aber gegen Cottbus wird das wohl schon deutlich kompetitiver sein, wenn die Hertha heute aus dem Stadium der Freundschaft (mit dem KSC) in das Stadion der Freundschaft muss, wo es sicher keine Geschenke geben wird.

Samstag, September 18, 2010

Blunderland

Meine beiden Teams marschieren im Gleichschritt, aber sie tun es in quite a different fashion. Arsenal musste gerade bei Sunderland ganz spät den Ausgleichstreffer hinnehmen und spielte 1:1 in einem typischen PL-Thiller mit allem, was das Spiel zu bieten hat, darunter auch diskutables Refereeing.

Aber man muss zuerst einmal den Führungstreffer durch Fabregas gesehen haben. Selten wurde "work rate" deutlicher belohnt - der Versuch einer Balleroberung in einem Bereich des Spiels, in dem schlechtere Spieler das Pressing allenfalls andeuten, führte hier zu einem Querschläger über 30 Meter und zur frühen Führung.

Ein "freak goal", so nennt man das in England, bald darauf musste Fabregas raus, und Arsenal bekam es mit einem Spiel zu tun, das ausnahmsweise fast ausschließlich der Gegner machte. Sie hingen also drinnen dort, bis zur 95. Minute, als Phil Dowd eigentlich schon abgepfiffen hätte haben sollen, er ließ aber noch einen Bonusangriff vortragen, und daraus wurde das 1:1. So ist dieses Spiel. I just love it (ich würde es noch mehr lieben, hätte Arsenal das über die Zeit gebracht).

Ostgut

Das Berliner Derby habe ich noch in Toronto gesehen, kurz vor dem Rückflug, in einem Stream, der ausreichend Eindrücke gab, um das 1:1 ein wenig einordnen zu können. Ein schnelles Tor, wie es Niemeyer in diesem Fall gleich nach Spielbeginn per Kopf erzielte, reicht eben nicht, es müssen schon mindestens zwei sein, und dann sollte der Gegner auch noch nach Möglichkeit so devot sein wie die Bielefelder Arminia neulich.

Bei Union war das anders, sie waren motiviert, und sie ließen sich von der Hertha ins Spiel bitten, weil diese sich zunehmend empfahl - sie wollte mit diesem Derby nach dem Führungstreffer nicht mehr ganz so viel zu tun haben wie der Gegner. Das ergab schließlich in Summe 36 Prozent Ballbesitz und einen späten Ausgleichstreffer nach dem gefühlten zwanzigsten weitgehend unbehinderten Distanzschuss.

Woran haperte es? Coach Babbel änderte zur Halbzeit das System und brachte Perdedaj für Raffael, das war ein richtiger Gedanke, doch personell halte ich ihn für verkehrt - dass Domovchyiski besser gewesen wäre als der Brasilianer, ist mir nicht aufgefallen, und dass der Trainer sich ausgerechnet Raffael nun schon mehrmals zu öffentlichen Disziplinierungen ausgesucht hat (denn dieser Wechsel zur Pause gestern war auch wieder eine), zeugt von riskanter Psychologie.

Raffael ist eigentlich ein Typ, der anders zu motivieren ist, zumindest konnte das in der Abstiegssaison so erscheinen: Er lässt sich nicht unter Druck setzen, er lässt sich aber in die Verantwortung nehmen. Man muss ihn überzeugen, aber auch (positiv) privilegieren. Babbel aber privilegiert ihn negativ. Ich bin jedenfalls gespannt, ob der Coach und sein bester Spieler diese kleine Privatfehde, die es nun ja bald ist, wieder in den Griff kriegen.

Als es in der zweiten Halbzeit darum ging, gegen den zunehmenden Druck der Union wieder ein wenig Struktur ins Spiel zu bringen, war Domo jedenfalls auch nicht der Mann dafür, und der besonders schwache Ramos spielte sogar durch. Der schöne Sieg gegen Bielefeld war wohl doch eher trügerisch - die Hertha 2010 in Liga zwee hat spielerisch durchaus ihre Probleme, oder sagen wir es so: sie schafft es nicht immer, so richtig als Mannschaft aufzutreten. Das Personal ist da, aber es fehlt noch so etwas wie eine Struktur, eine Gruppendynamik, die von jemand ausgehen müsste - aber von wem? Das wird Babbel herausarbeiten müssen.

Mittwoch, September 15, 2010

Umstundung

Zwei Tage vor dem Derby gegen Union hält der Zoff noch an, der sich daran entzündet hat, dass eine Stundung der Stadionmiete bekannt wurde, die Hertha schon in der Rückrunde der letzten Saison eingeräumt worden war. Da diese Miete nun nachträglich zurückgezahlt wird, können die aktuellen Zahlungen nicht bedient werden, die nun neuerlich gestundet werden, diese sollten allerdings niedriger sein, denn in der zweeten Liga ist die Miete niedriger.

Bei der Union regt das manchen auf, dass der teuerste Kader der Konkurrenz indirekt auch noch durch den Berliner Senat gefördert wird. Tatsächlich sieht das nicht gut aus, ein Vorwurf ist den Anbietern der Leistung allerdings nicht zu machen, denn sie haben für das Olympiastadion außer der Hertha keinen dauerhaften Mieter und sind damit in etwa in der Situation eines Investors, der an unrentabler Lage ein großes Objekt errichtet hat und nun seinem einzigen potentiellen Mieter ziemlich hilflos ausgeliefert ist.

Bedenklicher ist die Sache aus der Perspektive von Hertha, denn diese hat versucht, diesen Umstand vor den Mitgliedern und vor der Öffentlichkeit wenn schon nicht zu verheimlichen, dann doch zumindest so offensiv wie möglich nicht zu thematisieren. Das fällt ganz eindeutig unter Mauschelei, denn gerade dann, wenn der Eindruck entstehen könnte, hier richte es sich ein Club mit der lokalen Politik, ist Transparenz oberstes Gebot. Hertha hat auf diese Weise ja auch seine Fans bloßgestellt, die sich zu Recht über die indirekte Hilfe eines städtischen Gelsenkirchener Unternehmens an Schalke 04 mokiert haben, und nun blöd dastehen.

Das Detail aus dem Haushalt verdeutlicht nur, was ohnehin allen klar ist: Die Saison 2010/2011 hat etwas von einem Hasardakt. Dass der Hertha jetzt ausgerechnet vor dem Derby eine schwache Karte aus dem Blatt gefallen ist, bleibt hoffentlich ein Detail, das den großen Plan nicht stört. Die Gelegenheit, diese peinliche Sache offen und unumwunden nach vorn zu bringen, wurde im Mai 2010 versäumt, als zweimal die Mitglieder der Geschäftsführung und dem Präsidenten gegenüber saßen. Vielleicht wurde es ja sogar erwähnt, dann war ich aber nicht der einzige, der es überhört hat. Von damals bleibt mir als nachdrücklich immer noch die Aussage von Finanzvorstand Ingo Schiller in Erinnerung: "Die kommende Saison ist auch ohne Transfererlöse durchfinanziert." Bei aller Interpretierbarkeit selbst dieses Satzes - war das nicht einfach ganz eklatant gelogen?

Sonntag, September 12, 2010

Fieberkurve

Heute habe ich doch glatt die erste Halbzeit von Hertha gegen Bielefeld verschlafen. Das Spiel begann um halbacht Uhr lokale Zeit in Toronto, zur zweiten Halbzeit hatte ich dann aber einen passenden Stream parat (dessen Name auf Tore aus dem Irak verweist, aus welchen Gründen auch immer) und konnte in passabler Qualität mitansehen, wie Babbels Elf einen 2:0-Vorsprung aus den ersten zehn Minuten des Spiels gegen deutlich unterlegene Arminen verteidigte und schließlich noch ausbaute.

Fast 48000 Zuschauer waren wieder im Stadion, in Berlin scheint das Wetter sehr freundlich zu sein, im Oly schien die Sonne. Die Aufstellung war tatsächlich so, wie das von den Zeitungen vorher schon angedeutet worden war: Perdedaj auf der Bank, stattdessen Raffael und Domovchyiski gemeinsam in der Offensivformation. Ramos, der nach den Schrecksekunden auf der Länderspielreise, wo er mit Kreislaufproblemen kollabiert war, eine ärztliche Unbedenklichkeitserklärung bekommen hatte, spielte auf dem Flügel.

Kurz nach Minute 60 gab es im Mittelfeld eine kleine Serie von Vorfällen, die für das Match nicht groß von Belang waren, die aber für mich Schlüsselszenen waren: Zweimal innerhalb kürzester Zeit lief sich ein Bielefelder im dichten Hertha-Pulk fest, zweimal endete die Situation mit Freistoß für Hertha. Das bezeugt die gute, flexible und laufintensive Raumaufteilung, die Grundlage des modernen Fußballs ist (ich habe gestern in Toronto auch ein anschauliches Beispiel vormodernen Fußballs gesehen, davon morgen mehr).

Unter Babbel scheint sich die Hertha allmählich auf diese Grundlagen zu besinnen, beim 3:0 konnte man dann sehen, wie so eine Situation produktiv gemacht wird: Eckball Hertha, Bielefeld wehrt ab, spielt aus der Defensive heraus, läuft sich fest, Hertha erobert den Ball noch an der 30-Meter-Linie, und kontert über Schulz, Querpass auf Friend (der im Abseits steht?) - die Sache ist entschieden.

Marco Djuricin kam heute nicht zum Einsatz, dafür brachte Babbel als erste Einwechslung Schulz für Rukavytsya, bald darauf Perdedaj für Domo, später noch Janker für Niemeyer - so hält man einen Kader in positiver Spannung. Nach drei Spielen hat Hertha einen Orientierungssieg (gegen Oberhausen), einen glücklichen Sieg (gegen Düsseldorf) und einen Pflichtsieg auf dem Konto.

Das ist wichtig, denn bald kommen die kälteren Monate, und dann wird die zweete Liga erst so richtig in ihrer Charakteristik erkennbar werden, und dann ist es gut, wenn es nicht schon eine "uphill battle" ist. Im Moment sieht es gut aus, nicht nur wegen der neun Punkte, auch wegen der Charakteristik und Zusammensetzung der Mannschaft (Perdedaj hatte in seiner kurzen Einsatzzeit schon wieder ein paar gute Momente, Raffael war defensiv auch sehr präsent, ...). Die Reise nach Köpenick wird nun der erste Realitätscheck - kleines Stadion, speziell motivierter Gegner, Derbyfieber.

Samstag, September 11, 2010

Zeitverschiebung

Vorgestern habe ich etwas Seltsames erlebt. Ich habe auf der Queen Street West in Toronto einen Mann gesehen, der ein blaues Arsenal-Jersey aus der Zeit trug, als noch O2 der Sponsor meines englischen Lieblingsclubs war. Ungefähr eine Stunde später sah ich einen koreanischen Mann mit einem blauen Arsenal-Jersey mit O2-Aufdruck in dem Film "Poetry" von Lee Changdong. Ich bin nicht der Typ, der aus solchen Koinzidenzen etwas ableitet, aber der Erwähnung wert erscheint es mir doch. Ich bin gerade in der kanadischen Heimatstadt meiner Frau, um das Filmfestival zu besuchen. Sechs Filme habe ich in den ersten beiden Tagen gesehen, heute aber mache ich Pause und widme mich dem Fußball. Arsenal hat gerade Bolton mit 4:1 geschlagen, wieder war es ein extrem hartes Stück Arbeit, ein schöner Kopfballtreffer des neuen Mittelstürmers Marouane Chamakh (Bild) wies den Weg, aber erst eine Extraleistung von Song sorgte für die Entscheidung.

Obwohl Koscielny wieder einen Gegentreffer verursacht hat, wirkt die Defensive doch heuer insgesamt deutlich stabiler und nervenstärker als in den Vorjahren, und das ist nun einmal die entscheidende Voraussetzung im Rennen um den Titel in England. Dass Manchester City schon wieder nur remisiert hat, ist mir eine kleine periphere Befriedigung. Mit der Sichtbarkeit der Bundesliga in Kanada ist es nicht so gut bestellt, es sieht aber so aus, als könnte ich doch einen Stream finden, wenn Hertha morgen früh gegen Bielefeld spielt, angeblich im 4-1-4-1, also mit Raffael und Domovchyiski. Das wäre dann eine schöne Reminiszenz eines Systems, das sich im Vorjahr so darbot: Cicero und Kacar vor Lustenberger in einem zentralen Mittelfelddreieck, vor dem eine offensive Dreierlinie mit Ramos, Raffael und Gekas tätig war. Dass Wolfsburg heute neuerlich nicht gepunktet hat, trägt auch ein Gran zu meiner guten Laune bei.

Nun breche ich auf, um mir in ein paar Stunden auf dem BMO Field eine Begegnung der Major League Soccer anzusehen: Toronto FC gegen DC United aus Washington. Am Abend dann wieder Kino, ein Film von Isabelle Stever.

Sonntag, September 05, 2010

Falsche Neun


Beim 0:4 von Bulgarien gegen England am Freitag kam Waleri Domovchiyski nicht zum Einsatz. Immerhin aber kann er sich über eine Reise mit der Nationalmannschaft freuen, während Raffael mit Hertha in Berlin trainiert - am Samtag gab es in einem Testspiel gegen den VfB Auerbach aus der sächsichen Oberliga ein 4:0 (Tore: Lasogga 2, Bigalke, Raffael).

Das kleine Match habe ich nicht gesehen, die Berichte geben aber Hinweise auf zwei Details: Erstens haben Djuricin und Lasogga gemeinsam in einer Offensivformation gespielt, das wird in der Zukunft noch von Interesse sein, denn beide sind als große Talente einzuschätzen, und da ist es natürlich gut, wenn es auch Konstellationen gibt, in denen beide gleichzeitig antreten können.

Zweitens war Raffael allem Anschein nach mit Spaß bei der Sache. Ihm könnte ja doch Domovchyiski ein wenig die Laune verdorben haben, und tatsächlich hat Coach Babbel in den Angriffsreihen der Hertha demnächst ein wenig die Qual der Wahl. Soll er Domo aus der Mannschaft nehmen, der als zweite Spitze zweimal getroffen hat, oder soll er für Raffael einen "winger" opfern? Rukavytsya ist wegen der Standards unumgänglich, und Ramos will auch niemand vor den Kopf stoßen.

Generell war zu beobachten, dass die drei Spieler hinter Friend (oder Djuricin) häufig rochiert haben, Domo wechselt auch auf den Flügel, Ramos kommt gelegentlich zentral oder geht nach rechts. Es gibt also viele Variationsmöglichkeiten.

Es gibt allerdings auch einen Aspekt, den die meisten Medien, die nun zum Teil von einem "sensationellen" Domovchyiski schreiben, übersehen: Der Bulgare müsste eigentlich viel stärker als "link player" zwischen Mittelfeld und Angriff fungieren, im Grunde wäre es seine Aufgabe, die Bälle sogar noch weiter hinten abzuholen, auf Höhe von Perdedaj und Niemeyer, um so die Spieleröffnung noch variabler zu machen.

Das hat er bisher konsequent versäumt, und das (zum Beispiel) unterscheidet eine deutsche Zweitligamannschaft wie Hertha von Arsenal (die ich eben auch genau beobachte), wo van Persie die Rolle von Friend hat, und dann kommt schon Fabregas (oder Nasri) in der Funktion des Gelenkspielers, der sich weit zurückfallen lässt und doch immer wieder in den Strafraum geht.

Die englischen Taktikexperten haben inzwischen den Begriff der "falschen Neun" geprägt, eines nominellen zentralen Stürmers, der auf dem Feld aber schwer zu finden ist, weil er sich tief fallen lässt. Fabregas ist der Idealtyp für diese Rolle, weil er Aggressivität (Perdedaj), Balleroberung (Niemeyer), Vorstöße (Kacar) und Abschluss alles in seinem Spiel vereinigt. (Özil zum Beispiel ist auch ein falscher Neuner, der allerdings lieber über den Flügel kommt, sodass Khedira die zentralen Vertikalen offen findet.)

Raffael musste auch erst allmählich an die universelle Anlage dieser Rolle herangeführt werden, sein Aktionsradius und damit sein Einfluss auf das Spiel ist allerdings tendenziell noch deutlich größer als bei Domo, und deswegen muss der Bulgare für meine Begriffe gegen Bielefeld wieder in die Wartestellung - so sehr ich das bedauere, denn ich halte viel von ihm und würde ihn gern zu einem großen Spieler reifen sehen. Die ersten beiden Spiele waren gute Ansätze, überbewerten sollten man sie aber noch nicht.