Sonntag, März 14, 2010

Flash Mob


Gestern habe ich einen Blödsinn gemacht. Ich bin ohne Geldbörse ins Olympiastadion gefahren, stand deswegen auch ohne Dauerkarte vor dem Einlass, und war schon im Begriff, wieder heimzufahren. Dann fiel mir ein, dass der Feuilletonchef einer einflussreichen linken Wochenzeitung ja immer ganz in meiner Nähe sitzt, ich rief ihn an, er kam ans Osttor und reichte mir, wie einem Sträfling, zwanzig Euro durch das Gitter.

So konnte ich von einem wenig honorig aussehenden Schwarzhändler eine sogenannte Ehrenkarte erstehen, und saß folgerichtig nicht auf meinem angestammten Platz, als Hertha gegen Nürnberg spielte. Ich saß unter den Freibierfans, die von den Halbzeiten meistens die erste Viertelstunde versäumen, weil sie da noch am Büffet sind. Besser wäre gewesen, ich wäre einfach wieder heim gefahren.

Hertha musste unbedingt gewinnen, und so spielte sie auch in der ersten Halbzeit - leidenschaftlich, aber auch ein wenig konfus, mehrfach traf sie den Pfosten, mehrfach rettete Schäfer, bevor Gekas schließlich eines jener Tore erzielte, auf die er spezialisiert ist - er staubte ab, nachdem Cicero im Fünfmeterraum der Ball vor die Füße gefallen war, er ihn aber nicht selbst verwerten konnte.

Guten Mutes ging die Mannschaft in die Pause, und die Freibierfans strömten in die Cateringbereiche. Nach der Pause hatte das Spiel ein bisschen weniger Spannung, und in der 61. Minute erzielte Bunjaku nach einem Eckball den Ausgleich für Nürnberg - der Hertha-Kapitän Arne Friedrich hatte ihn frei zum Kopfball kommen lassen, wie man so schön sagt (genau genommen sah der künftige Wolfsburger Abwehrchef schon zum dritten Mal in Serie recht blöd aus in einer Szene, die zu einem Treffer gegen Hertha führte: Hoffenheim, Hamburg, Nürnberg).

Danach fehlte dem Publikum noch nicht ganz, wohl aber der Mannschaft der Glaube, die Ordnung ging verloren, und Nürnberg hätte schon früher als ganz zum Schluss einen Konter verwerten müssen. Charisteas war es schließlich, der Hertha BSC Berlin 2010 in die zweite Liga schoss - ich weiß, ich weiß, mathematisch, und so weiter... Aber das war es. Eine Mannschaft, die keine zwei Halbzeiten auf Niveau hinbekommt, kann die erste Liga nicht halten.

Kurz nach Abpfiff stürmten Fans aus der Ostkurve das Spielfeld, es war eine verwirrende Szene, in der die Ordner nach kurzer Zeit das einzig Richtige taten: sie sperrten den Zugang zu den Katakomben, und als die Polizei kam, war der Flash Mob schon wieder auf dem Rückzug. Dieter Hecking sprach hinterher mit der moralischen Entrüstung des Rechtschaffenen von "Kriminalität pur", die ARD genüsslich von "Chaoten". Gewiss, die Zerstörung der Ersatzbank ist unentschuldbar, und man soll auch keine Kabelrollen mit dem Turnschuh treten, und man soll vor allem nicht mit Stangen fuchteln.

Aber man muss doch auch ein wenig Verständnis dafür haben, dass da eine der besten Fangruppierungen des Landes, die diese ganze finstere Saison hindurch ausschließlich affirmativ gearbeitet hatte, nach jemand suchte, bei dem sie ihre Riesenenttäuschung hätte abladen können. Dass es dafür bei der Hertha niemand gibt, das ist die eigentliche Katastrophe, sie geht über den Spieltag und den Abstieg hinaus: Denn wer soll diesen Club jetzt noch auffangen?

Friedhelm Funkel? Wenn er ein wenig Anstand hat, dann tritt er noch heute zurück, nicht wegen der Niederlage gestern, sondern wegen der Saisonleistung unter seiner Leitung. Michael Preetz? Ich schätze hoch, wie gut er diese Krise nach außen hin moderiert, aber er hat wohl inhaltlich und sportlich zu viele entscheidende Fehler getroffen oder zugelassen. Werner Gegenbauer, der gleich nach dem Spiel von "Schrammen" am Image von Hertha BSC sprach? Gute Nacht.

5 Kommentare:

Natalie hat gesagt…

das einzige, das bei hertha diese saison funktionierte, ist in der tat die ostkurve. der preis für die entladung wird hoch sein, allerdings war sie schon lange fällig. wenn der klub größe hätte, würde er die kosten tragen - und wohl auch die konsequenzen. das kann nur ein schwacher trost für die geschundene fanseele sein. der schaden, den preetz, funkel und gegenbauer angerichtet haben, ist ungleich größer.
meinen unzufriedenheitsüberschuß, den ich diese saison erwirtschaftet habe, werde ich in stimmrecht investieren.

marxelinho hat gesagt…

irgendwie würde ich immer noch gern preetz eine chance unter regulären bedingungen bekommen sehen, das ist mir heute auch wieder klar geworden, als ich ihn mehrmals im fernsehen gesehen habe

37OBERING hat gesagt…

Das Skandalöse der eigentlichen Katastrophe macht sich Luft:
Gestern in der Sportschau empört sich Herr Gegenbauer über das unentschultbare Verhalten einiger Ultras, deren Steilvorlage er dankbar annimmt: Er zeigt in seinem Kurzauftritt sehr schön, wie man mittels entschiedener Betroffenheit über das Vergehen Einiger sein eigenes Unvermögen/Versagen kaschiert und offenbart dabei noch ungewollt die Diskrepanz zwischen Fans und Vereinsführung.

Kein Wort übers Sportliche, der Entschuldigung eben, an all die anderen 50000 Unterstützer, kein Eingständnis , kein Hinterfragen, nur noch zur Schau getragene Souveränität, wenig später ein sichtlich mitgenommener Michael Preetz mit den gleichen Worten von „ Analysieren und Auswerten „ zur Leerformel verkommen, in diesem Moment auch gar nicht mehr aufs Spiel bezogen.., Zwischen Führungspitze des Vereins und den Fans scheint nur noch große Leere.

Missverhältnisse wie Missverständnise: volles Haus suggeriert Unterstützung, dabei finden anfeuernden Bekundungen aus Ostkurve längst abgekoppelt zum Spielgeschehen statt, bis gestern: nach dem Spiel gab es eine sichtbare Reaktion auf ein Spiel, in dieser Form als Übertretung öffentlicher Aufmerksamkeit gewiss.

Das heutige Training fand unter Polizeischutz statt....

ein noch langer Weg zu reglären Bedingungen für den glaubwürdigen Herrn Preetz...

Natalie hat gesagt…

um preetz ist es schon schade, das stimmt, weil er in gewisser weise ein sympathieträger ist, ich habe mir von der erneuerung der hertha, die im werden ängstlich beendet wurde, mehr versprochen - und eben auch vom manager preetz. ich denke, daß preetz einfach kein managertyp ist - jedenfalls nicht in diesem umfeld. gegenbauer ist einfach nur borniert.
gut beobachtet, fans und chefetage sind entfremdeter denn je - und das so plötzlich. bemerkenswert, wie wenig loyal die vereinsführung ist, wo doch die fans saisonübergreifend bis kurz vor abpfiff dieser partie der gelobte 12. mann waren. die chefetage ist doch etwas schuldig geblieben, nicht die fans/ ostkurve!, und sie selbst zerschneidet nun gewissermaßen das tischtuch, wo fingerspitzengefühl helfen würde.
dieser spieltag ist nun auf ganz anderer ebene richtungsweisend.

Sascha 4 friends hat gesagt…

Nach diverser Presseschau und dem lesen des Hertha-Blogs, hast du marxelinho das ganze wohl am besten zusammengefasst. Ein interessanter Link:

http://www.magdeburger-nachrichten.de/archives/6242/nachwort-zu-den-ausschreitungen-in-berlin/