Sonntag, November 02, 2008

Ehrenamt

Seit gestern weiß ich, was "Werder-Wetter" ist. Der Stadionsprecher Stoffi definierte es durch Temperaturen um die fünf Grad und eine Regenwahrscheinlichkeit von 80 Prozent, die sich bis zum Anpfiff des Matches zwischen Werder Bremen und Hertha bis auf 100 Prozent gesteigert hatte. Eine Stunde vor Anpfiff war Jaroslav Drobny zum Aufwärmen gekommen, tat dann aber nichts und verschwand wieder in der Kabine. Die Sache klärte sich, als der zwanzigjährige dritte Keeper Christopher Gäng herauskam - damit hatte der Nachmittag einen zusätzlichen Spannungsfaktor. Fußball ist keine elitäre Angelegenheit in Bremen. Gestern war der "Tag des Ehrenamts", alle möglichen Vereine wurden extra begrüßt, auch die Vertreter von "Ausländern", mit der Frage: "Seid ihr schon angekommen?" Ich war jedenfalls pünktlich angekommen in Bremen, und weil ich wusste, dass ein weiterer Auswärtssieg geradezu gegen jede Kurslogik gewesen wäre, hatte ich mich vor dem Spiel noch bildungsbürgerlich abgesichert und mir die Ausstellung von John Stezaker in der Gesellschaft für aktuelle Kunst angesehen. Der Kunstgewinn würde zwar eine Hertha-Niederlage nicht vollständig aufwiegen können, das war mir schon klar. Aber die kleine Schau war eine echte Entdeckung. Zum Weserstadion ging ich zu Fuß, an der Flusspromenade entlang, schon im Werder-Wetter. Das Stadion selbst ist ersichtlich alt und zusammengeflickt, es hat kein internationales Niveau. Ich saß ganz oben unter dem Dach. Zum Match werde ich später noch eigens was schreiben, richtig geärgert haben mich eigentlich nur die Gegentore vier und fünf, weil da einige Spieler (Voronin!) schon aufgegeben hatten und nicht einmal mehr für die Ehre spielten. Der Fanblock der Herthaner machte vieles gut, die ganze zweite Halbzeit hindurch wurde der großartige Chant "Hertha BSC, ist unser Verein, wird es immer sein" gesungen, der fast ein wenig nach Trance und Ritus klingt, der in seiner unbeirrten Monotonie aber natürlich auch vom Spielgeschehen abgekoppelt war. Simunic, Pantelic, Friedrich und Dardai kamen am Ende noch in die Kurve, sie wurden freundlich empfangen. Ich ging dann zu Fuß zurück zum Hauptbahnhof, irgendwann erreichte mich von Valdano die Nachricht von der Verschärfung der Arsenal-Krise (dazu auch demnächst mehr). Die DB hatte einen Sonderzug bereitgestellt, der die Hertha-Fans nach Lichtenberg (!) bringen sollte, sie also pfleglich von der City fernhielt. Dabei gab es, so weit ich sehen konnte, keine Zwischenfälle, es wurde ein wenig gesungen, aber nicht gekloppt. Ich nahm einen ICE via Hannover, in dem Wagen, in dem ich zu sitzen kam, waren noch sechs weitere Herthaner, die gleich nach dem Einsteigen ein deftiges Lied anstimmten ("Alle Bremer stinken, weil sie aus der Weser trinken"), dies aber unter dem zivilisierenden Einfluss des lesenden ICE-Publikums bald bleiben ließen. Über die ganze Strecke wurde dann Fußball quer durch Deutschland kommuniziert, in Hannover trafen wir H96-Fans (3:0 gegen den HSV!), und noch spätabends in der S-Bahn am Hackeschen Markt wurden Hertha-Fans angesprochen und mussten mit dem Ergebnis rausrücken: 1:5 bei Werder Bremen. "An uns hat's nicht jelegen." Wohl wahr.

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