Sonntag, November 04, 2007

Nordbank-Arena

Eigentlich wollte ich gestern nach Hamburg fahren, um mit eigenen Augen das Stadion des HSV und das Auftreten der Hertha zu sehen. Ich habe mich dann kurzfristig dagegen entschieden, und so kam es, dass ich die Fernsehübertragung aus einer ganz besonderen Perspektive in Angriff nahm - denn davor lief ja schon Arsenal gegen Manchester United (dazu mehr in einem eigenen Eintrag), und es war unmöglich, die beiden Spiele nicht zu vergleichen. Als ich zur Bundesliga umschaltete, stand es schon 1:0 für den HSV, eine Chaosproduktion, wie ich später herausfand. Dann stand die Hertha fünfzehn Minuten lang am Abgrund, wurde aber nicht hinuntergestoßen: der schöne Pfostenschuss von Jerome Boateng war deutlichster Ausdruck des Glücks, das die Berliner an diesem Tag hatten. In der zweiten Halbzeit kamen sie zurück, Ebert traf zum Ausgleich, dann setzte die Hertha nicht nach, stattdessen legte sie eines ihrer zahlreichen geistigen Päuschen ein und erlaubte Reinhardt den Siegtreffer für den HSV per Kopf. Was lernen wir daraus? Erstens sind neunzig Minuten zu lang für dieses Team, das Konzentration und Leidenschaft immer nur für kurze Phasen aufbringt, und danach wieder nicht weiß, was es tun soll. Das kleine Minidrama zwischen Ebert und Boateng, zwischen dem Berliner Talent, das gerade seinen Vertrag verlängert hat, und dem abtrünnigen Berliner Talent, das in Hamburg rechts defensiv Stammspieler ist (war?), ging mit 1:0 an Hertha. Das Spiel drumherum, mit Simunic und Mineiro im defensiven Mittelfeld, mit Grahn in der "Spielmacherrolle" und Gilberto auf verschiedenen Positionen, mit Pantelic als einsamer Spitze und später Piszczek als Flügelspieler, ging mit 2:0 an den HSV. Grotesk geradezu der zweite Treffer: Van der Vaart ist auf rechts ganz allein, niemand geht ihn an, dafür stehen vier Spieler perfekt aufgefädelt unter der Flugbahn der Flanke, im Fünfmeterraum ballen sich dafür die Hamburger Massen um Arne Friedrich. Das nannte man früher Raumdeckung. Ich hatte gestern ein Spezialauge auf Jo Simunic, weil mich interessiert, ob er in dieser neuen Rolle vor der Abwehr ein wenig aufblüht. Körpersprachlich war nicht viel zu sehen, er stand auch oft eher herum, als dass er für die erste Bewegung im Spiel gesorgt hätte. Er spielte aber auch einige schöne verteilende Pässe, und hat zweifellos das Talent sowohl für den präzisen kleinen wie für den öffnenden Pass. Er sollte sich anschauen, wie Flamini bei Arsenal das gestern über neunzig Minuten gemacht hat - ständig in Bewegung, ständig signalisierend, dass er den Ball nehmen kann, ständig mit einem intelligenten Pass im Kopf schon bereit, ihn zu spielen. Dazu die Tacklings und Interventionen. Flaminis Spielauffassung sollte man Simunic beibringen - er hätte dann nicht nur mehr Spass an der Sache, er könnte endlich auch sein Talent "abrufen". Grahn erwies sich gestern einmal mehr als zu langsam (geistig und läuferisch) für eine hervorgehobene Rolle. Patrick Ebert deutete an, dass von ihm noch viel kommen kann. Den entscheidenden Unterschied sehe ich aber in der Einstellung: Hertha ist und bleibt eine lethargische Truppe mit interessanten Ansätzen, niemand ist willens, über 90 Minuten volle Konzentration zu gehen, und das taktische Konzept von Favre scheitert an technischen und taktischen Mängeln: für das schnelle Spiel in die Spitze braucht es erstens eine Spitze (Pantelic war gestern selbst nicht gut, Okoronkwo disqualifiziert sich schon wieder mit bemerkenswerter Konsequenz), und zweitens eine kompetente Ballannahme, also Technik. All das wurde zu Beginn der Saison trainiert und von den Profis so ausprobiert, als hätten sie gerade zum zweiten Mal das Einmaleins gelernt. Inzwischen sind die Lernerfolge verpufft, und alle spielen wieder so, wie sie das immer getan haben. Konsequenzen? Pantelic braucht einen Partner, mangels Kandidaten muss das wohl bis zum Winter noch Okoronkwo sein. Ede sollte auf links eine Chance bekommen, Gilberto und Simunic zentral, Ebert rechts. Viererkette hinten wie gehabt, Chahed allerdings zu Weihnachten raus, Malik Fathi kann sich noch steigern, und von Bergen und Friedrich werden sich finden.

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